Mittlerweile ist das Spiel, 1 Jahr aus der Spieleschmiede heraus und es gibt noch immer keine Rezension. Rezensieren Spieleschmiede-Fördere ungern oder haben die anderen das gleiche Problem wie ich es zu bewerten? Es klang vielversprechend. Auch der erste Materialeindruck stimmt optimistisch. Die Idee ist auf jeden Fall gut. Die Umsetzung mit verschiedenen Schwierigkeitsstufen auf den beiden bedruckten Seiten der 4 Brettviertel, die mit den farbigen Pfeilen den Monstern und Helden unterschiedliche Bewegungen ermöglichen bzw. behindern finde ich genial, kannte ich bisher noch nicht so.
Das Spiel soll semikooperativ sein. Kooperativ, weil alle Spieler gegen Monster kämpfen. „Semi“, weil man auch gegeneinander kämpfen kann, wenn man nur allein gewinnen möchte. Eine Gewinn-Reihenfolge gibt es nicht, entweder lebt man am Ende und darf raus oder nicht. Deshalb stellt sich die Frage, warum man andere Spieler bekämpfen sollte. Auf der Suche nach anderen Spielerfahrungen bin ich auf Brett&Pad gestoßen, wo das Spiel so berauschend und mit einer surrealen Wortwahl („knallharte Türmechanik“) geschildert wird, dass ich mich Frage, ob sie ein anderes Spiel gespielt haben. „Deranged .. ist ein atmosphärisch dichtes Abenteuer …“ kann ich überhaupt nicht bestätigen. Nun, andere Rezensenten weisen dagegen einheitlich darauf hin, dass es keinen Grund gibt nicht kooperativ zu spielen und wenn man das tut (und darauf hatten wir uns schnell geeinigt), ist das Spiel schnell langweilig (z.B. Brettspiel-News). Die Gegner? Gähn … sind gemeinsam schnell weggeputzt. Die Entwickler gingen von einem speziellen Spielertypus aus, dessen Freude es ist, anderen spontan in den Rücken zu fallen. Dieser Punkt ist an sich super realistisch in die Spielwelt gebracht. Wäre man in der Realität, wüsste man auch nicht, wie weit man sich gegenseitig vertrauen sollte, ob man nicht doch zuerst an sich denkt. Allerdings wären die Folgen auch realer, man wäre wohl für immer tot. Doch es ist ein Spiel, man kennt sich als Spieler, die Figur kann nicht sterben (es nennt sich nur tot) und man kann relativ einfach geheilt werden. Außerdem ist es nicht unbedingt negativ getötet zu werden, weil man im nächsten Zug mit vollen Figurenwerten ohne Schwund an den Ausrüstungsgenständen (?! – meine erste Regeländerung) wieder aufersteht. Perfekt, wenn ein anderer Spieler gerade einen umbringen muss. Dann verabredet man sich an einen Treffpunkt zum Umbringen und beide Spieler sind froh! Wo liegt der Sinn??? War das wirklich so angedacht? Es ist jedenfalls regelkonform und bei den Regeln auch rationales Spielverhalten.
Ich achte zunehmend darauf, ob die Umsetzung zur Story passt. Und das tut es mit den Regeln oft nicht. Auf den sogenannten „Tod“ habe ich schon hingewiesen. Passend ist dagegen beispielsweise das Finden von Ausrüstung in den Häusern (die alle verlassen sind, Null Dorfbewohner). Gegenbeispiel: Es ist eben nicht so, wie es in der Werbung suggeriert wird, dass man zum blutrünstigen Monster wird und die anderen Spieler vor einem Angst haben müssen, wenn es Nacht ist. Wenn das passiert, ändern sich einfach nur die Kartenwerte, aber der Spieler bleibt derselbe, mit gleichen Zielen. Es ändert sich nicht die Agenda oder Rolle. Die Monster sehen einen weiterhin als Mensch an und bekämpfen ihn(?!).Also macht man ganz normal weiter. Da die „Mutation“ die eigenen Werte verbessert, hat es sogar Vorteile zu „mutieren“, auch wenn die Aktionen eingeschränkter sind. Genau genommen, ist man auch kein Monster, sondern wahnsinnig oder geisteskrank. Dass ich durch einen Karteneffekt verflucht bin und damit geisteskrank (oder für mich stimmiger wahnsinnig) werde, kann ich nachvollziehen, aber wieso werde ich wahnsinnig, wenn ich viele Aktionen ohne Ausruhen vornehme? Und wieso gibt es beides, was ist eigentlich der Unterschied zwischen „geisteskrank“ und „wahnsinnig“? Die Unterscheidung von beidem war für die Spieler eher schwierig, wirkte willkürlich. Auch Brettspiel-News kommt in seiner Rezension hier durcheinander. Wahnsinnig (geistige Stabilität gleich Null) bedeutet in der Spielmechanik nicht wahnsinnig, sondern eher ermüdet, man kann keine Aktionen mehr durchführen. Noch ein Beispiel. Dass ich von der Geisteskrankheit durch eine Exorzismuskarte geheilt werde, passt. Die Karte gibt es aber zu selten, so kann man sich auch „heilen“, in dem man einen anderen Spieler umbringt oder ein oder zwei Häusern einen Besuch abstattet. Häh? Letztlich ist mir klar, dass all diese Punkte für die Spielmechanik da sind. So gibt es immer wieder kleinere Aufgaben und Herausforderungen verschiedener Art. Mein Eindruck ist, dass die Entwickler entweder die Mechanik deutlich wichtiger fanden als die Passung zur Story, oder das Spiel hatte ursprünglich eine ganz andere Hintergrundgeschichte und als man auf ein Überlebensspiel in einem Dorf (nein, eine Stadt ist das auf dem Brett definitiv nicht) kam, passte es nicht mehr so.
Am Ende treffen sich alle, die nicht wahnsinnig oder geisteskrank sind auf dem Ausgangsfeld. Es ist völlig regelkonform, dass der letzte Spieler einen anderen, der an sich schon gewonnen hat, dann im letzten Zug unwiederbringlich umbringt. War das so gewollt? Wir haben den Ort jetzt zum save place erklärt, aber letztlich ist es trotzdem auf dem Feld vorher auch wieder möglich. Auch die in der Werbung erwähnte „spannende“ hidden agenda ist eine einzelne am Anfang vergebene Aufgabe, die man erfüllen kann, aber nicht muss. Dann bringt man mal jemanden um, damit man eine spezielle Ausrüstung (Karte) erhält. Das war’s. Man kann nicht sterben, außer im letzten Zug. Einerseits wollte man so wohl sicherstellen, dass niemand plötzlich nur noch zugucken darf, andererseits ist es unpassend für ein Spiel, welches mit dieser Aufmachung, dieser Werbung und dem Namen „Deranged“ daherkommt.
Interessant ist, dass man mit den gespielten Karten auch die Zeit beeinflussen kann. Für mich auch nicht realistisch, aber trotzdem finde ich diese Möglichkeit gut. Es erhöht die strategische Komponente. Es ist ein weitere Faktor zur Zielerreichung (Zeit gewinnen) bzw. um die langweiligen Spielphasen zu beschleunigen.
Spieldauer: Auf der Packung steht im Prinzip 30 Minuten pro Spieler. Die Angabe passt überhaupt nicht. 90 Minuten? Niemals! Die Sonnen-Zeitleisten sind so aufgebaut, dass die Spielerzahl eben gerade nicht die Spieldauer proportional erhöht. Man kann sich das ganz gut ausrechnen. 3 Spieler benötigen reine Spielzeit etwa 145 Minuten, 6 Spieler 250, 4 Spieler 180 Minuten (passt zu unserer Erfahrung zu viert). Dazu kommt noch die Umsetzung der Szenarien zu Tag- und Nachtwechsel mit noch mal 15 Minuten und außerhalb der Spielzeit die bei dem Spielmaterial nicht unerhebliche Zeit der Vorbereitung und des Einpackens von 20 bis 30 Minuten. Alles in allem benötigt man zu dritt reine Spielzeit also wenigstens 160 Minuten und zu sechst 265 Minuten. Tendenziell mehr, uns war es jedenfalls zu lang. Am Ende des zweiten Tages, war gefühlt für alle Schluss, den dritten Tag mochte eigentlich keiner mehr spielen.
Anleitung: Ist gut, man braucht aber erst einmal ein wenig um reinzukommen. Auf der Rückseite gibt es einen Kurzübersicht.
Material: gut;
Fazit: Die Story gefällt mir sehr gut. Leider ist die Umsetzung mäßig. Das Spiel hat Potenzial, man könnte einiges draus machen – jedenfalls als rein kooperatives Spiel. So kann man sehr einfach Gegner und Szenarien selbst entwickeln. Doch dafür bezahle ich nicht den Preis, der ja weniger für das Material, sondern vorrangig für die Spielidee bezahlt wird. Und ich möchte und kann vermutlich auch kein Spiel entwickeln. Es hat fertig spielbar zu sein. Auch würden wir es zukünftig wohl nur mit 2 Nächten und Tagen statt 3 spielen, das ist lang genug und erhöht den Druck.
4,5 Punkte, wegen des Preises abgerundet. Immerhin passt die Kartongröße hier.