Dass Flip & write (oder Roll & write) - Spiele auch sehr komplex sein können, wissen wir ja spätestens seit ´Fleet - the dice game´. Hadrianswall setzt dem Ganzen aber noch einen drauf. Ja, es geht tatsächlich noch komplexer, als bei ´Fleet´.
Worum geht´s? Wir haben die Aufgabe, als römischer Befehlshaber ein Meilenkastell und einen Teil des Grenzwalls, des späteren Hadrianswalls, auszubauen. Dafür haben wir 6 Jahre (also 6 Runden) Zeit und müssen es in diesen 6 Runden schaffen, die Kohorten auszurüsten, die Mauer auszubauen, Materialien zu beschaffen, Personal (Sklaven und Baumeister sowie Soldaten) einzusetzen und römische Bürger anzulocken, denn diese bringen mir Ansehen, Geld und Frömmigkeit in mein Kastell. Soldaten, Baumeister und Sklaven hingegen steigern meine Wehrhaftigkeit, Tapferkeit und Disziplin, je nachdem, wie ich sie optimal für den Aufbau des Kastells einsetze.
Wie funktioniert die ganze Sache? Eigentlich gar nicht mal so kompliziert: Zu Beginn einer jeden Runde ziehe ich zwei Karten aus meinem persönlichen Deck (das im Übrigen für alle Mitspieler gleich ist). Ich wähle eine Karte aus für persönliche Ziele (z.B. vollständiger Mauerausbau, Anzahl gebauter großer Gebäude, Handel mit unterschiedlichsten Waren etc.). Diese Karte dient auch als ´Rundenzähler´, denn wenn 6 Karten ausliegen und die entsprechende Runde zu Ende gespielt ist, dann endet das Spiel.
Die zweite Karte zeigt mir Möglichkeiten für die aktuelle Runde auf, nämlich welche Waren ich handeln kann, welches Tetris-Raster ich in dieser Aktion in meinem ´Späher-Bereich´ einzeichnen kann und welche zusätzlichen Personen ich für diese Runde erhalte. Außerdem wird noch eine weitere Karte aufgedeckt, nämlich eine sogenannte ´Schicksalskarte´. Diese gibt allen Spielern vor, mit welchen Personen (Soldaten, Sklaven, Baumeistern, freien Bürgern) ich in dieser Runde spielen kann. Ich bekomme entsprechende Holzmeeples (schwarz für Soldaten, violett für Sklaven, hellblau für Baumeister und gelb für die römischen Bürger, sowie auch Baumaterial für die Mauer und die Gebäude, die zu bauen sind).
Noch ein Wort zu dem Thema: Sklaven. Im Spiel selber werden diese als ´Diener´ bezeichnet. Die Spielanleitung nimmt dazu auch Stellung und weist darauf hin, dass es im Römischen Reich nun mal sehr viele Sklaven gegeben hat und es nicht richtig wäre, dies im historischem Kontext zu leugnen. Ich selber lehne Sklaverei selbstverständlich kategorisch ab; halte es aber für falsch, verschämter Weise und wegen einer falsch verstandenen ´Political Correctness´ den unsinnigen Begriff ´Diener´ zu verwenden. Es waren nun mal Sklaven, die auch an den Gebäuden und Mauerwerken mitgearbeitet haben und deshalb habe ich auch in dieser Rezension den Begriff ´Sklaven´ verwendet, ohne damit eine Wertung abgegeben haben zu wollen!
Weiter im Text: Nun beginnt das Einzeichnen auf zwei recht großen Blättern. Und am Anfang, als Neueinsteiger in das Spiel, erschlagen einen die vielen Möglichkeiten. Ich kann Soldaten abgeben (zurück in den allgemeinen Vorrat) um die Kohorten zu stärken und somit mein Kastell vor den angreifenden Pikten zu verteidigen, ich kann Baumeister und Sklaven abgeben, um die Mauer auszubauen, Gebäude zu errichten, damit weitere Abschnitte freizuschalten, eventuell auch weitere Meeples zu erhalten usw. Ich kann ein Theater bauen, um mit Bürgern und anderen Figuren Aufführungen freizuschalten, diese bringen Ressourcen und Geld ein, mit denen ich wiederum den Markt und Handelswaren freischalten kann, ich kann Bäder errichten und damit Bestechungen bewerkstelligen, oder ich schalte mir Staatsdiener frei, die dann mit dem Pikten verhandeln, womit ich Pikten-Angriffe abwehren kann, ich kann sogar Gladiatorenkämpfe ausrichten usw. Die Fülle dieser Möglichkeiten und die extreme Verzahnung all dieser Aktionen erschlägt einen am Anfang regelrecht. Aber man kommt da dann doch erstaunlich schnell rein in die Mechaniken. Ziel ist es letztendlich, auf den Leisten ´Ansehen´, ´Frömmigkeit´, ´Tapferkeit´ und ´Disziplin´ voranzukommen, denn das sind letztendlich die Siegpunkte am Ende des Spiels. Auch die oben erwähnten langfristigen Spielziele muss ich im Auge behalten, denn auch dafür gibt es am Ende noch Siegpunkte. Und wir müssen die sogenannte ´Missgunst´ verhindern. Am Ende einer jeden Runde greifen nämlich die Pikten an, und diese Angriffe verstärken sich von Runde zu Runde. Habe ich die Aufrüstung meiner Kohorten mit Soldaten vernachlässigt, kann ich diese Angriffe (gesteuert durch das Ziehen von Schicksalskarten) nicht oder nur bedingt abwehren und kassiere sogenannte ´Missgunst´, die mir am Ende des Spieles noch kräftig Minuspunkte bringen können. Allerdings kann ich diese ´Missgunst´ durch Bestechungen abwehren (dazu muss ich ein Badehaus errichten). Ich kann aber auch durch meine Staatsdiener mit ´Diplomatie´ Angriffskarten ignorieren. Also alles greift ineinander, ist miteinander verzahnt und muss alles im Kontext beachtet werden.
Fazit:
Wie schon mehrfach erwähnt, ist das Spiel durchaus komplex. Dabei sind die Regeln gar nicht mal so schwierig und durch eine wirklich hervorragende Spielanleitung mit vielen Beispielen sehr eingängig und gut erklärt. Aber die vielen, vielen Möglichkeiten zu durchschauen, da einen Überblick zu bekommen und den auch beizubehalten, die ganzen Verzahnungen zu verstehen usw., das ist schon eine Herausforderung. Allerdings eine, die auch richtig Spaß macht. Es ist schon sehr befriedigend, wenn man einen richtig großen Kettenzug hinbekommt, der einen weitere Möglichkeiten und letztendlich auch viele Siegpunkte beschert. Man darf sich da am Anfang nicht durch die wirklich fast schon überfrachteten beiden Spielbögen einschüchtern lassen. Im Laufe des Spielens lichtet sich der anfängliche Dschungel und man versteht die Zusammenhänge. Das liegt auch daran, dass m.E. das Spielthema durchaus logisch eingefangen und umgesetzt wurde. Es macht eben Sinn, seine Soldaten zu den Kohorten zu schicken, mit den Baumeistern und Sklaven die Bauwerke und Mauer zu errichten, die freien Bürger mit Theaterveranstaltungen und Gladiatorenkämpfen zu unterhalten, mit den Eintrittsgeldern auf den Markt zu gehen und dort Handelsgüter zu erwerben. Es macht Sinn, dass im Badehaus Bestechungen und Absprachen getroffen werden und Staatsdiener mit Diplomatie Pikten von Angriffen auf das Kastell abhalten. Durch diese inhaltliche Einbindung der Mechaniken fällt es einem auch leichter, die ganzen Verknüpfungen zu verstehen.
Das Spiel selber ist sehr belohnend. Überall erhält man was und kann was freischalten. Mit erhaltenen Ressourcen und neuen Meeplen kann man wieder neue Züge machen, erhält dann vielleicht sogar Siegpunkte usw. Um wirklich gute Ergebnisse zu erzielen braucht es aber durchaus mehrere Partien, wobei die Lernkurve durchaus sehr steil ist. Man muss sich allerdings auf das Thema und auf die Mechaniken einlassen. Aber auch, wenn am Anfang die Ergebnisse noch eher bescheiden ausfallen, macht das Spiel durch sein Belohnungssystem sehr viel Spaß. Auch der Wiederspielreiz ist hoch, denn man kann in einer Partie beim besten Willen nicht alles, was das Spiel an Möglichkeiten anbietet, ausschöpfen. Ich hab z.B. bisher noch keine Gladiatorenkämpfe veranstaltet und bin schon sehr darauf gespannt, auch das mal zu probieren. Es hat sich bisher auch noch keine eindeutige ´Siegstrategie´ herausgestellt. Viele Wege führen halt nach Rom.
Es ist natürlich ein Multisolitärspiel. Einige sagen sogar, es sei ein reines Solospiel. Ja, dieser Meinung kann man schon sein, aber man kann schon auch gemeinsam seine Kräfte messen und auswerten, wem der Ausbau seines Kastells am besten gelungen ist. Und es gibt, wenn auch nur sehr zart, durchaus auch interaktive Berührungspunkte, wie z.B. die Möglichkeit, dem Mitspieler seine Handelsware (die er ja zu Beginn der Runde ausgespielt hat) durch Abgabe einer Ressource im eigenem Markt zu benutzen oder aber mit seinem Späher das ´Tetris-Raster´ des Gegenspielers auszuspähen und zu kopieren. Aber im Grunde genommen baut jeder für sich auf seinen beiden Spielbögen an seinem Kastell herum, ohne das Kastell des Mitspielers beeinflussen zu können. Das ist aber für ein Flip & Write-Spiel durchaus typisch und man weiß ja durchaus, worauf man sich da einlässt. Ich allerdings spiele es tatsächlich überwiegend solo und bin begeistert!
Das Spielmaterial ist durchaus wertig. Zwei wirklich dicke Blöcke lassen viele Spiele zu. Die Grafik auf den Blöcken wurde im Netz schon häufig kritisiert; ich finde sie allerdings durchaus stimmig. Zumindest bei mir kommt da schon das ´Rom-Feeling´ auf. Die Karten sind allerdings funktional. Die Ikonographie ist ja immer so eine Sache: dem einen hilft sie sehr weiter, der andere findet sich damit nur schwer zurecht. Ich allerdings finde die Ikonographie durchaus intuitiv und gelungen; ich kam sofort gut damit zurecht. Die Meeple und die Ressourcen sind aus Holz, da kann man nicht meckern. Also das Material ist okay; ob es allerdings den recht hohen Preis rechtfertigt, bleibt doch fraglich. Zumal noch nicht einmal Stifte beigefügt sind. Obwohl ich sowieso davon abrate, Bleistifte zu benutzen. Das wird spätestens ab dritter oder vierter Runde unübersichtlich. Ich benutze einen schwarzen Filzstift und hab damit hinsichtlich der Übersichtlichkeit durchaus gute Erfahrung gemacht.
Alles im allen: Ein wirklich ansprechendes, komplexes, aber nicht all zu schwer zu erlernendes, sehr gutes Spiel, das Spaß macht, schnell aufgebaut ist, durchaus thematisch ist und eben KEIN Nullachtfünfzehn Flip & Write ist! Es ist nichts für Interaktionsfans, aber die dürften ja sowieso nicht die Zielgruppe für ein Flip & Write sein. Von daher, klare Kaufempfehlung und ja, es ist auch sein Geld wert. Knappe sechs Punkte!
Matthias hat Hadrianswall klassifiziert.
(ansehen)